Welche Rolle spielt Antisemitismus im Gangsta-Rap?

Antisemitismus ist ein Welterklärungsmodell, der Hass auf Jüdinnen*Juden und auch alles, was mit Judentum in Verbindung steht oder in Verbindung gebracht wird, wie zum Beispiel der Staat Israel, ausdrückt. Menschen mit einer antisemitischen Weltanschauung halten Jüdinnen*Juden für besonders mächtig und machen sie für viel Böses in der Welt verantwortlich. Sie behaupten, Jüdinnen*Juden würden die Welt kontrollieren.
Antisemitische Erzählmuster sind im Deutschrap weitverbreitet und folgen oft einer klaren und wiederkehrenden Struktur: Die Welt wird in Gut und Böse eingeteilt, Verschwörer:innen werden als übermächtig dargestellt, und die Rapper oder ihre Fans stilisieren sich als „Aufklärer“ mit geheimem Wissen und in der Mission, andere von diesem Wissen zu überzeugen. Häufig werden dabei codierte Begriffe wie „Zionisten“, „Rothschilds“, „Illuminaten“ oder „Finanzlobby“ verwendet, um Antisemitismus zu verschleiern.
Im deutschsprachigen Rap taucht Antisemitismus derzeit vor allem in zwei Formen auf:
Israelbezogener Antisemitismus
Hier richtet sich der Hass oder die Feindseligkeit speziell gegen den Staat Israel, indem antisemitische Stereotype auf den Staat Israel übertragen werden. Eine typische Erzählung ist beispielsweise die Darstellung Israels als das Böse, das Unheil über die ganze Welt bringen soll. Häufig geht es bei solchen Erzählungen darum, den Staat Israel auszulöschen.
Wichtig ist, dass der israelbezogene Antisemitismus von Kritik an der israelischen Regierungspolitik unterschieden wird. Diese ist genauso legitim wie die Kritik an der deutschen oder der US-amerikanischen Regierung.
Beispiel: „Free Palestine“ (2010), Haftbefehl, Chaker
[Part I: Haftbefehl] Wir schreiben das Jahr 2010, Asien der Kontinent Palestine der Tatort, hör’ wie die Bombe fällt Von wegen Mensch ist Mensch Juden führen ein Krieg gegen Moslems Doch umgekehrt auch Cho, alles dreht sich um Geld Ihr denkt nur ans Abkassieren und an die Prämien
Struktureller Antisemitismus
Struktureller Antisemitismus funktioniert mit denselben Vorurteilen und Stereotypen wie klassischer Antisemitismus, wirkt aber oft subtiler und unbewusst. Komplexe Themen wie Armut oder soziale Ungerechtigkeit werden stark vereinfacht, indem man bestimmte „böse“ Personen oder Gruppen dafür verantwortlich macht. Diesen Gruppen, die zum Beispiel „Finanzhaie“ oder „geheime Eliten“ genannt werden, wird vorgeworfen, absichtlich böswillig zu handeln.
So leben alte antisemitisches Denkmuster weiter, auch wenn Jüdinnen*Juden gar nicht direkt erwähnt werden.
Beispiel: „Hange the Bankers“ (2015), Haftbefehl
Folgende Textausschnitte deuten auf Antisemitismus hin: „Der Banker ist der Mann, der Teufel im Anzug / […] Geboren im Chaos, zerschmetterte Towers / Es regnete Menschen, dies alles für Dollars […] / Rothschild-Theorie, […] sie leiten, sie lenken / Die Taxis, die Leute, die schuften für Bares / Der Illu‘, der Hurensohn kommt und verpackt es / Der nimmt sich dann alles, […]“

Der Echo-Skandal 2018: Ein Beispiel für die Debatte um Antisemitismus im Deutschrap.
Bild lizenziert unter CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons, „Kollegah und Farid Bang (2012)“
Bereits Anfang der 2000er gab es Debatten über einzelne Battle-Rap-Zeilen die den Nationalsozialismus verharmlosten oder verherrlichten („Salutiert, steht stramm, ich bin ein Führer wie A.“, Bushido 2004. Mit A. ist Adolf Hitler gemeint). In den 2010ern wurde es noch deutlicher: Rapper wie Haftbefehl, Kollegah oder Bushido griffen immer wieder antisemitische Bilder auf – oft vermischt mit Verschwörungserzählungen. Diese werden häufig mit israelfeindlicher Sprache und Bildern verknüpft.
Solche Inhalte finden in der Szene zunehmend Anklang und werden auch über Social Media und YouTube verbreitet.
Ein Höhepunkt in der öffentlichen Debatte war die Echoverleihung 2018, bei der die Rapper Kollegah und Farid Bang für ihr Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“ mit dem Echo-Musikpreis ausgezeichnet wurden. Die Texte auf dem Album sind stark gewaltverherrlichend und in Teilen antisemitisch. Besonders die Zeile „Mein Körper definierter als von Ausschwitzinsassen“ aus dem Song „08/15″ wurde kritisiert – unter anderem von dem Internationalen Auschwitz Komitee – da sie den Holocaust verharmlost.
Als Folge der breiten Kritik wurde die Vergabe des Echos nach dieser Verleihung eingestellt.
Trotz der Debatte und der breiten Kritik ist Antisemitismus im Rap nicht weniger geworden.

Findest du, es war richtig, den Preis danach abzuschaffen?
Antisemitischer Rap = antisemitische Hörer*innen?
– Wirkung antisemitischer Raptexte auf Hörer*innen?
Menschen, die Rap mit antisemitischen Inhalten hören, sind nicht automatisch selbst antisemitisch. Jedoch besteht die Gefahr, dass Hörer*innen solche Denkmuster bewusst oder unbewusst aufnehmen und weiterverbreiten. Eine Studie der Universität Bielefeld hat untersucht, wie empfänglich Jugendliche für Antisemitismus in Raptexten sind. Sie ist zu folgendem Ergebnis gekommen:
Junge Menschen, die oft Gangsta-Rap hören, haben häufiger antisemitische Einstellungen als andere Jugendliche. Im Schaubild sieht man: Von den Jugendlichen mit sehr starken antisemitischen Einstellungen hören über 80 % gerne Gangsta-Rap. Aber Vorsicht: Die Studie kann nicht beweisen, dass Rap die Ursache für ihre antisemitischen Einstellungen ist. Es kann auch sein, dass Jugendliche mit antisemitischen Haltungen einfach lieber Gangsta-Rap hören. Oder beides beeinflusst sich gegenseitig.

Die Studie zeigt außerdem auch, dass Jugendliche den Antisemitismus in den Texten oft nicht bewusst wahrnehmen oder ihn nicht erkennen. Gleichzeitig finden sie Rapper*innen häufig glaubwürdig und überzeugend. So können antisemitische Denkmuster unbewusst aufgenommen und weiterverwendet werden.
Aus dem Grund ist es wichtig, auf solche Hintergründe und antisemitische Codes aufmerksam zu machen. Ob die Rapper*innen selbst antisemitische Ansichten haben oder eventuell nur provozieren wollen, ist erst mal egal, wenn es um die Wirkung auf die Hörer*innen geht.
Quellen:
Grimm, Marc/ Baier, Jakob (2023): Jugendkultureller Antisemitismus. Warum Jugendliche für antisemitische Ressentiments im Gangsta-Rap empfänglich sind, Frankfurt a.M.: Wochenschau Verlag.
Fritzsche Maria/ Jacobs Lisa/ Schwarz-Friesel Monika (2019): „Antisemitismus im deutschsprachigen Rap und Pop“, bpb.
Amadeu Antonio Stiftung: „Was ist israelbezogener Antisemitismus?“.
Bildquellen:
Glühbirne mit Buch: Knowledge icons – Flaticon