Wie wird Gewalt im Rap dargestellt?

Im Gangsta-Rap thematisieren viele Rapper*innen das raue Leben im „Ghetto“ oder auf der Straße. Gewalt, Kriminalität und Macht stehen dabei häufig im Mittelpunkt. Diese Darstellungen sind jedoch nicht immer ein realistisches Abbild der Lebenswelt der Künstler*innen, sondern dienen oft der künstlerischen Überhöhung und Selbstinszenierung.
Das führt zu einem Spannungsfeld: Einerseits greifen Rapper*innen reale Erfahrungen auf, andererseits werden Gewalt und Härte bewusst übertrieben dargestellt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Besonders auf Social Media verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung. So wird Gewalt im Rap nicht nur in den Songtexten dargestellt, sondern auch in den Musikvideos und in öffentlichen Auftritten, wie zum Beispiel auf Social Media.

Beispiele für Gewalt in Raptexten

„Psycho du schreist rum ich fick dein leben, wenn du nicht sterben willst dann komm nich in meine Gegend”

Krijo Stalka, „Drogen, Rap, Sex, Gewalt“

„Bitch, ich fülle seinen Kopf mit Blei per Kalasch wie im Columbine-Massaker”

Kollegah und Farid Bang, „Ave Maria“

„Ich plane Morde und Vergewaltigung’n mit Beck’s und Gras. Spürst du mein Messer? Das war’s”

Bushido, „Superhoez“

„Draußen ist es kalt, Bruder. Alles, was ich brauch‘, nehm‘ ich mit Gewalt, Bruder. Fick die Strafanstalt, Bruder. Aufgewachsen auf Asphalt, Bruder, rrah!”

Samra und Capital Bra, „Kalt Bruder“

„Du denkst du bist cool ich werd‘ dich auseinander reißen! an Händen und Füßen fesseln und durch die Straßen schleifen!“

Irie Die feat. Ufuk Sahin, „Der Angriff“

Warum spielt Gewalt so eine große Rolle?

Im Gangsta-Rap wird Gewalt oft genutzt, um ein bestimmtes Bild von Männlichkeit zu zeigen: stark sein, sich durchsetzen können, körperlich überlegen sein. Gewalt wird also als Symbol für Stärke verstanden. Gleichzeitig steckt dahinter mehr: Viele Rapper sehen sich selbst – oder das Umfeld, das sie in ihrer Musik darstellen – am Rand der Gesellschaft. Gewalt und Härte werden dann zu Mitteln des sozialen Aufstiegs: Wer sonst wenig Chancen hat, versucht über Stärke und Gewalt Anerkennung zu gewinnen. Gleichzeitig drücken viele Gangsta-Rapper ihre Identität über ihre Herkunft aus, das heißt das eigene Viertel oder auch das „Ghetto“ wird zu einem Symbol für Zusammenhalt und Stärke (identitätsstiftend). Teil dieser Welt sind dann eben auch Gewalt, Härte und Kriminalität.

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„Du musst auch hart sein, wenn der Beat nicht mehr läuft.“
– Bushido, „Wenn der Beat nicht mehr läuft“ (2015)

Wie stark beeinflussen Gewaltdarstellungen im Rap die Hörer*innen?

Vor allem junge Menschen aus schwierigeren Lebensverhältnissen orientieren sich am Gangsta-Rap und fühlen sich davon angesprochen, weil sie darin eine Bestätigung ihrer eigenen Lebensrealität sehen. Manche Rapper werden zum Vorbild, weil sie scheinbar zeigen, dass man trotz Schwierigkeiten erfolgreich werden kann. Manche erkennen die Gewaltinhalte als Genremerkmal, also, dass Gewalt inszeniert und übertrieben dargestellt wird – andere nehmen die Gewaltinhalte jedoch auch als Handlungsanleitung wahr.

Welche Rolle spielen die Medien?

Die Medien berichten häufig über Gewalt im Gangsta-Rap – aber oft auf eine zugespitzte und vereinfachte Weise. Rap-Texte werden dabei isoliert betrachtet und schnell als jugendgefährdend oder gewaltverherrlichend eingestuft. Das Problem: So fehlt oft der Blick auf die sozialen Hintergründe, die viele Rapper in ihren Songs beschreiben.
Die Forscher Kleiner und Nieland zeigen am Beispiel des Berliner Labels Shok-Muzik, dass Gewalt im deutschen Rap nicht nur Inhalt ist, sondern auch ein ästhetisches Stilmittel und eine Vermarktungsstrategie. Gewaltbilder wirken also einerseits schockierend, andererseits machen sie die Musik für viele Fans erst interessant.

Insbesondere auf Jugendliche haben skandalisierende und dramatisierende Darstellungen von Gewalthandlungen eine starke Wirkung. Sie übernehmen solche Bilder teilweise in ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen über Gewalt. So entsteht eine Wechselwirkung:

  • Medien machen Gewalt im Rap zu einem relevanten gesellschaftlichen Thema.
  • Gleichzeitig steigert diese Aufmerksamkeit die Attraktivität des Themas für Jugendliche.
Makrofotografie von silbernem und schwarzem Studiomikrofon-Kondensator

Studioangriff:
Manuellsen vs. Animus

Fight

Im Jahr 2019 kam es zu einem Vorfall, der die Verknüpfung von inszenierter Gewalt und realer Gewalt in der Rap-Szene deutlich macht:

Der Rapper Manuellsen griff Animus in einem Studio an. In den sozialen Medien kursierte später ein Video, das den Vorfall dokumentieren sollte – allerdings stark gekürzt und ohne klaren Kontext. Animus zeigte Manuellsen nach der Tat an und es gab einen Gerichtsprozess. Manuellsen wurde wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Bis heute gibt es jedoch unterschiedliche Versionen des Geschehens: Während Animus von massiver Gewalt berichtet, bestreitet Manuellsen bestimmte Vorwürfe.

Zwei Sichtweisen

AnimusManuellsen
Video sei stark gekürzt, zeigt nicht den wahren Ablauf, zum Beispiel, dass Manuellsen ein Messer in der Hand hatte. Hat Animus laut eigener Aussage „nur“ drei Ohrfeigen gegeben und kein Messer dabei gehabt.
Manuellsen kam mit drei weiteren Männern: Der Kampf war also unausgeglichen: Fair wäre laut Animus eins gegen eins gewesen.
→ es gibt offenbar legitime und illegitime Gewalt
Legitimiert den Angriff damit, dass Animus seine Frau beleidigt habe (Verteidigung der Ehre seiner Frau).
Stellt sich als „machtloses Opfer“ einer Tat dar (Schultz) → thematisiert damit Verletzlichkeit, was nicht in das hypermaskuline Männlichkeitsbild passt →die Einsicht über eigene Schwächen wird von Animus als (männliche) Reife dargestellt.Manuellsen spricht ihm die Zugehörigkeit zum Gangsta-Rap-Genre ab, da seinen Worten keine Taten folgen.
Das bedeutet: Bereitschaft zur realen Gewalt ist ein wichtiges Kriterium, wer sich das Label Gangsta-Rapper zuschreiben darf und wer nicht.

„Der hängt doch nur mit Deutschen ab, was nicht n Problem ist, aber Yani, der ist Student, der muss normalerweise in der Community von Casper sein,
oder Marteria, das ist seine Sparte normalerweise, aber nein, er will unbedingt in die Bozz-Music-, König-im-Schatten-, Azzlack-Ecke, […] weil da ist es natürlich cooler.“ (Manuellsen)
Kritisiert Manuellsen dafür, das Video hochgeladen zu haben und Gewalt für Aufmerksamkeit zu benutzen.

„Du bist dabei dein ganzes Leben zu verschwenden, […] um im Internet der King zu sein.“ (Animus)
Wirft Animus vor, „Beef“ (Streitigkeiten) mit anderen Rappern nur für den eigenen Erfolg zu nutzen, also um Aufmerksamkeit über das Internet zu bekommen.

Reaktionen und Bedeutung

In der Szene ist die öffentliche Zurschaustellung realer Gewalt umstritten – besonders, wenn der Kampf nicht fair wirkt (kein Eins-gegen-eins) oder als zu brutal gilt (Schultz 2022). Es gab viel Kritik von Medien und von Hörer:innen an Manuellsen für seine Tat (Vice-Artikel). Das zeigt, dass die Inszenierung von Gewalt in Rap-Texten zwar nach wie vor ein wichtiger Teil des Gangsta-Raps sind. Jedoch wird die tatsächliche Anwendung von Gewalt nicht hinterfragt und kritisiert.

Fazit

Der Vorfall zeigt, wie stark Gewalt im Rap zwischen Inszenierung und Realität schwankt. Gleichzeitig wird bei dem Beispiel des „Studioangriffs“ deutlich, wie Gewalthandlungen genutzt werden, um Stärke und Männlichkeit zu demonstrieren. Die Bewertung durch Rapper*innen und Publikum ist dabei unterschiedlich: Einerseits stehen solche Taten für traditionelle männliche Ideale wie Härte und Dominanz- Andererseits reagieren viele in der Szene und auch Fans zunehmend kritisch bis abweisend darauf. Somit scheint es hier eine Veränderung zu geben, wobei auch andere Formen von Männlichkeit mehr Raum bekommen.

Zuletzt hat Animus Manuellsen wiederholt zu einem Kampf in einem Boxring aufgefordert, um den Streit zu beenden. Manuellsen lehnte mit der Begründung ab, dass er bei einem Boxkampf seinen Gegner respektiert, er jedoch jeglichen Respekt gegenüber Animus verloren habe.

Thought

Was denkst du? Wenn ein*e Rapper*in Gewalt öffentlich zeigt: Ist das noch Kunst und Teil des Rapper-Image, oder wird damit eine Grenze überschritten?



Quellen:
Schultz, David (2022). Gangsta-Rap und die umstrittene Bedeutung von Gewalt. Eine qualitative Untersuchung des »Studioangriffs«. In: Marc Dietrich/Martin Seeliger (Eds.), Deutscher Gangsta-Rap (55-78). Bielefeld: transcript Verlag.
Huber, Michael (2018). Gangsta-Rap – Wie soll man das verstehen? In: BPjM aktuell, 26 (3).
Kleiner, Marcus S./Nieland, Jörg-Uwe (2015): HipHop und Gewalt: Mythen, Vermarktungsstrategien und Haltungen des Deutschen Gangster-Raps am Beispiel von Shok-Muzik. In: Karin Bock/Stefan Meier/Gunter Süß (Eds.), HipHop meets Academia (215-244). Bielefeld: transcript Verlag.
Statement Animus auf YouTube: Animus Videobotschaft BM4 & Studioangriff
Statement Manuellsen im Interview mit Hiphop.de: Manuellsens Stellungnahme zum Beef mit Animus (Interview) #waslos
Gerichtsprozess: Laut.de (12.08.2020): Manuellsen:15 Monate Haft auf Bewährung
Raptastisch (17.04.2025): 6 Jahre nach Studioangriff – Animus will gegen Manuellsen kämpfen

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Studio: Foto von Jonathan Velasquez auf Unsplash